Städtepartnerschaft Saarbrücken – Tiflis

Im Jahr 1975 schlossen Saarbrücken und Tiflis den ersten Partnerschaftsvertrag zwischen einer westdeutschen und einer sowjetischen Stadt. Wie war es zu diesem außerordentlichen Ereignis gekommen?


Der Beginn: Theater als Friedensbrücke (1972 bis 1974)

Der damalige Intendant des Saarländischen Staatstheaters, Hermann Wedekind, hatte in den sechziger Jahren in Saarbrücken u.a. jugoslawische, polnische, bulgarische, rumänische und russische Theatertage veranstaltet. Theater war für ihn eine Friedensbrücke über trennende Ideologien hinweg. Sein Credo lautete: “Kunst kennt keine Grenzen, Kunst führt die Völker zusammen.” Die staatliche sowjetische Künstleragentur Goskonzert lud ihn in die Sowjetunion ein. Moskau und Leningrad waren Pflicht, eine dritte Stadt durfte Wedekind sich aussuchen. Er wollte in südliche Wärme, wählte Tiflis und betrat im Jahr 1972 erstmals georgischen Boden. Wedekind, das Redekind, gleichzeitig Operntenor und Schauspieler, stieß dort auf verwandte Seelen. “Hier fand ich alles, wovon ich bis dahin geträumt hatte: Offenheit, Gastfreundschaft, den ungebrochenen homo ludens! Nicht die Menschen sangen, es sang aus ihnen!”

Eine intensive Freundschaft entsteht zwischen den Tifliser Bühnen und dem hiesigen Staatstheater, nach Kräften gefördert durch die Regierungen des Saarlandes und Georgiens und mit Billigung des “großen Bruders” in Moskau. Auf Einladung Wedekinds studieren 1973 Tifliser Theaterleute wochenlang mit dem Saarbrücker Ensemble die georgische Oper “Daissi” ein. Im gleichen Jahr inszeniert Wedekind “Lohengrin” am Tifliser Phaliaschwili-Opernhaus. Dabei wird die Idee der ersten Georgischen Woche an der Saar geboren.


Georgische Woche im Saarland (1974)

Sie findet 1974 statt, noch unter dem vorsichtigen Titel “Georgische Woche der Sowjetunion”. 120 Personen umfasst die georgische Delegation unter der Leitung des Kultusministers und Komponisten Otar Taktakischwili. Bei der feierlichen Eröffnung der Festwoche am 30.05.74 überrascht dieser die Anwesenden mit der Erklärung, er sei von der georgischen Regierung ermächtigt, einer Städtepartnerschaft zwischen Saarbrücken und Tiflis zuzustimmen. Nach diesem Paukenschlag bieten die Gäste zehn Tage lang ein mitreißendes Programm aus Opern, Schauspiel, Kammermusik, Volksliedern und -tänzen. An einem Abend lässt Wedekind das Stück “Die Stiefmutter” erst in der georgischen Originalsprache und nach der Pause vom Saarbrücker Ensemble in deutscher Sprache aufführen. Die Medien räumen den Berichten breiten Raum ein. Die Bürger nehmen begeistert Anteil – so königinnengleiche Tänzerinnen, kämpferische Tänzer und mächtig tönende polyphone Gesänge hat man hier noch nicht erlebt. Beim Abschied werden die Saarbrücker zu einer Saarländischen Theaterwoche in Tiflis eingeladen.



Offizieller Vertragsabschluss der Städtepartnerschaft (1975)

Schon am 11.06.74 beschließt der Saarbrücker Stadtrat einstimmig, das Angebot einer Städtepartnerschaft mit Tiflis anzunehmen. Am 22.03.75 unterzeichnen Bürgermeister Oskar Lafontaine und sein Tifliser Amtskollege Bachwa Lobshanidse die Partnerschaftsurkunde. Diese ist in Deutsch und Russisch abgefasst – von Georgisch ist keine Rede. Im Vertrag heißt es u.a.: “Beide Städte werden … freundschaftliche Beziehungen zum Zweck der kulturellen Zusammenarbeit fördern und unterhalten, insbesondere durch die Entsendung von Delegationen aus beiden Städten, durch den Austausch von Erfahrungen vor allem auf dem Gebiet der kommunalen Planung und Wirtschaftsführung und der Bewältigung sozialer Probleme, durch die Entsendung von Künstlern aus beiden Städten, durch die Förderung des Tourismus, durch die Förderung von Kontakten zwischen den gesellschaftlichen Organisationen in beiden Städten.” Hiermit haben beide Seiten Neuland betreten. Die bundesdeutsche Presse berichtet unter dem Tenor: der eiserne Vorhang ist etwas durchlässiger geworden.



Intensive Beziehungen und Austausch (1975 – 1989)

Die beiderseitigen Beziehungen weiten sich zu einem breiten Strom. Die Saarländische Woche in Tiflis 1976 wird zu einem Freundschaftsfest. Die Regierungszeitung bringt eine Sonderausgabe in deutscher Sprache. Zur Eröffnungsveranstaltung in der Philharmonie sind alle 3.500 Plätze besetzt. An allen Veranstaltungsorten hängen große Spruchbänder mit Willkommensgrüßen. Das Publikum drängt sich zu den Aufführungen. Tiflisserinnen und Tiflisser sprechen die Gäste auf der Straße an und drücken ihre Freude aus. Alle spüren: Hier wird ein Fenster zum Westen aufgestoßen. Und die Saarländer baden in der georgischen Gastfreundschaft.

Weitere “Wochen” finden statt. Unabhängig hiervon reisen Künstlergruppen: Sinfonieorchester und Kammerorchester, etliche Chöre, andere Theater-Ensembles, Tänzer, Schriftsteller, Pianisten, Komponisten, Filmschaffende, auch Pantomimen und Jongleure sind dabei. Daneben gibt es zahllose Begegnungen von Medienvertretern, Sportlern der verschiedensten Disziplinen, Wissenschaftlern. Es treffen sich Kommunalexperten, Bridgespieler, Schachspieler, Aufsichtsräte, Bergsteiger, Architekten, Autoclubmitglieder, Sprachkursteilnehmer, Gewerkschaftler, Eisenbahner, Ingenieure.



Ein besonderer Stellenwert wird dem Jugendaustausch eingeräumt.

Über ein Jahrzehnt fährt jedes Jahr eine rund 30-köpfige Gruppe von Tiflis nach Saarbrücken und umgekehrt und wohnt einige Tage bei Gastfamilien – für kommunistische Verhältnisse fast unvorstellbar, wenn auch mancher hier wohl mit Recht ideologische Auswahlkriterien argwöhnt. Unabhängig hiervon pflegt das Saarbrücker Gymnasium am Rothenbühl einige Jahre bis zum Umbruch einen Schüleraustausch mit der Tifliser 6. Schule.

Bis 1989 finden 24 offiziell so benannte Bürgerreisen nach Georgien statt. Sie sind so beliebt, dass Wartelisten angefertigt werden müssen. Bei der 14. Bürgerreise im Oktober 1985 wird der 1000. Teilnehmer begrüßt.



Gründung weiterer Partnerschaften, Länderpartnerschaft (1975 bis 1991)

Im Laufe der Jahre werden weitere Partnerschaften geschlossen: zwischen dem Saarländischen Rundfunk und Gosteleradio Tbilissi, der Universität des Saarlandes und der Dschawachischwili-Universität, der Hochschule für Technik und Wirtschaft des Saarlandes und der Georgischen Technischen Universität, der Architektenkammer des Saarlandes und der Georgischen Architekturgenossenschaft in Tiflis, dem Kunstturn- Bundesligisten TG-Saar und dem Tifliser Sportclub “Zenit”, auch zwischen Schwimmvereinen, Fußballclubs und Jazzern.

Nachdem Wedekind im November 1975 seine Intendantentätigkeit beendet hatte, übernahm der damalige Saarbrücker Bürgermeister und spätere Oberbürgermeister Oskar Lafontaine den aktiven Part in der Partnerschaft. Seine Ansprachen beendet er jedesmal mit einer längeren Passage in georgischer Sprache, die die Adressaten zu Begeisterungsstürmen hinreißt. Auf seine Initiative wird aus dem Zweierbund zusammen mit der Saarbrücker französischen Partnerstadt Nantes 1978 eine Dreierpartnerschaft, die in allen drei Städten feierlich besiegelt wird. Nanteser und saarländische Bürger samt Stadtoberhäuptern reisen gemeinsam nach Tiflis, wohnen der dortigen Unterschriftszeremonie bei und tun schon durch ihre bloße Anwesenheit kund, dass auch die Dreierpartnerschaft bei den Bürgern angekommen ist.

Am 22.09.1986 schließlich unterzeichnen auch das Bundesland Saarland, vertreten durch den nunmehrigen Ministerpräsidenten Lafontaine, und die damalige georgische Sowjetrepublik, vertreten durch den Ministerpräsidenten Otar Tscherkesia, einen Partnerschaftsvertrag.



Unabhängigkeit und Bürgerkrieg – Hilfe in schwerer Zeit (1991 bis 1995)

Mit dem Zusammenbruch der Sowjetunion 1991 und dem georgischen Bürgerkrieg 1991-93 wird ein neues Kapitel aufgeschlagen. Die Reisen großer offizieller Delegationen finden ein Ende. Besonders infolge des Bürgerkrieges, der Hunderttausende zu Flüchtlingen macht, tritt ein anderer Aspekt in den Vordergrund: Unterstützung in schwerer Zeit.

Hilfslieferungen werden gesammelt und nach Georgien geschickt, zunächst als „Luftbrücke Saarland-Georgien“, langfristig u.a. im Programm „Das Saarland hilft Georgien“. Stark engagiert ist der Arbeiter-Samariter-Bund (ASB) Landesverband Saarland. Allein im Rahmen des auch von der Stadt Saarbrücken getragenen Programms „Kinder helfen Kindern“ schafft der ASB zwischen August 1992 und März 1994 in 15 Sattelzügen und fünf LKWs 325 Tonnen Lebensmittel, Kinderkleidung, Wäsche, Bedarfsartikel und Medikamente ins Partnerland. Unterstützt von der saarländischen Landesregierung, richtet der ASB zusammen mit dem inzwischen gegründeten georgischen Samariterbund Volksküchen und Sozialläden ein. Von der 1990 gegründeten Deutsch Georgischen Gesellschaft im Saarland und der Ost-West-Gesellschaft werden jahrelang zahlreiche Kinder auf sechs Monate ins Saarland eingeladen, die bei ihren Gastfamilien Entbehrungen und Mangel vergessen können.



Weiterer Kulturaustausch und Aufbauhilfe (1995 bis 2004)

Der Kulturaustausch geht weiter, zumeist in kleinerem Rahmen. Doch findet 1995, zu den Feiern zum 20. Jahrestag der Partnerschaft, in Saarbrücken eine herausragende Ausstellung statt: „Unterwegs zum Goldenen Vlies“ zeigt georgische Exponate aus sechs Jahrtausenden, darunter kostbarsten Goldschmuck und Waffen. Vieles davon wird zum ersten Mal in Westeuropa gezeigt. – Eine kulturelle Großtat mit bis heute andauernder Wirkung ist der Beitrag, den die Saarbrücker Waldorfschule und der mit ihr eng verbundene Deutsch-georgische Freundeskreis zu Gründung und Aufbau der Tifliser Waldorfschule leisten. Im September 1994 mit drei Unterklassen gestartet, verfügt diese jetzt über alle Klassenstufen und einen Kindergarten, dazu über mehrere Werkstätten. Beide Schulen pflegen einen lebendigen Austausch, besonders der beiderseitigen Schulorchester.

Vielfältige Hilfe leistet die Stadt Saarbrücken beim Aufbau moderner Kommunalstrukturen der Partnerstadt, so bei der Energie- und Wasserversorgung und der Abfallbeseitigung. Die Hauptaufgabe ist die Erstellung eines Katasters der Stadt Tiflis. Die bundeseigene GTZ finanziert das Programm, das Saarbrücker Vermessungsamt schickt zehn Jahre lang die Experten. 1994 beschlossen, wird das Programm 2004 erfolgreich abgeschlossen. Mit der Vermessung und Registrierung aller Tifliser Grundstücke sind die Voraussetzungen für einen funktionierenden Immobilienmarkt geschaffen.

Ein weiteres, indirektes Ergebnis der Partnerschaft darf nicht unerwähnt bleiben. Der Theologieprofessor Gert Hummel reist als Beauftragter der Universität des Saarlandes mehrfach nach Georgien, hält hier den ersten evangelischen Gottesdienst nach 60 Jahren insbesondere vor deutschstämmigen Georgiern, die den stalinistischen Terror überlebt haben, und ist von deren religiösem Verlangen tief beeindruckt. Nach seiner Pensionierung verkaufen er und seine Frau Christiane ihr Haus, siedeln nach Tiflis um und errichten dort eine Kirche (geweiht 1997), ein Gemeindezentrum mit Altenheim und mehrere Sozialstationen. Ihre Tätigkeit weiten sie auf andere Städte aus. Nach dem Tod plötzlichen Gerd Hummels (2004) wird das Werk bis heute in wachsendem Umfang fortgeführt. Zu den tatkräftigen Unterstützern gehört die „Stiftung Ev. Kirche und Diakonie Georgien“ mit Sitz in der saarländischen Stadt St. Ingbert.



Jetztzustand (2005 bis heute)

Der Jetztzustand der Städtepartnerschaft ist dadurch gekennzeichnet, dass die großen, ins Auge springenden Ereignisse rar geworden sind. Statt dessen gibt es viele Aktivitäten und Begegnungen, teils im Rahmen der im Laufe der Jahre geschlossenen Kooperationsvereinbarungen wie z.B. der o.a. Universitäten, oft aber auch organisiert von Vereinen und Gesellschaften, die ohne die Städtepartnerschaft gar nicht entstanden wären.

Unsere Gesellschaft gehört dazu.
In dieser Darstellung wurde versucht, die wesentlichen Entwicklungen aufzuzeigen. Vieles blieb aus Platzgründen unerwähnt. Wer aus eigener Kenntnis Ergänzungen beitragen möchte, ist herzlich eingeladen, uns diese mitzuteilen. Eine Bildergalerie ist im Aufbau. Auch hier freuen wir uns über Zusendungen.

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